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Der agile Weg zur Digitalisierung im Gesundheitswesen

 3 years ago
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Linda Brunner, Igor Lankin, Meliha Müller und Vanessa Vogel

Es gibt einige Gründe, warum Digitalisierungs-Maßnahmen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nicht umgesetzt wurden. Fehlende Gelder, zunehmende Dokumentationspflichten und der herrschende Fachkräftemangel machten hierbei häufig einen Strich durch die Rechnung. Agile Methoden könnten helfen.

Die aktuelle Pandemie hat noch einmal mehr verdeutlicht, wie wichtig große Handlungsfelder wie Digitalisierung und die kontinuierlichen Anpassung von Prozessen sind, um flexibel auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren zu können. Im Gesundheitswesen wird genau dieses Thema im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes, das im Oktober 2020 beschlossen wurde, angegangen. Das Gesetz soll mit nötigen Fördermitteln die Digitalisierung der E-Health-Branche vorantreiben.

In diesem Blogartikel zeigen wir, warum Agilität im Rahmen der Digitalisierung auch im Gesundheitswesen einen großen Mehrwert bietet.

Chancen & Herausforderungen für ein digitales Gesundheitswesen

Schon heute gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Prozesse und menschliche Entscheidungen im Gesundheitswesen durch digitale Assistenz zu optimieren. Ermöglicht man beispielsweise Online-Buchungen für Arzttermine, kann das Sekretariat enorm entlastet werden und sich dringenderen Aufgaben widmen. Die so frei werdenden Kapazitäten können z. B. für strategische Fragestellungen verwendet werden oder um Kolleg:innen im Praxisalltag unterstützen.

Ein weiteres Beispiel sind digitale Diagnosesysteme, die menschliche Entscheidungen unterstützen können. Durch eine „digitale Zweitmeinung” können langfristig bessere Entscheidungen getroffen werden.

In vielen Krankenhäusern fehlt jedoch häufig die Zeit, das Geld und das Know-How, die Organisationsentwicklung voranzutreiben. Viele Gesundheitseinrichtungen funktionieren als geschlossene Einheiten, die klassisch in einzelne medizinische Bereiche (z. B. Chirurgie, Kardiologie usw.) untergliedert sind. In der Regel teilen sie sich die Einrichtungen nicht viel mehr als den übergeordneten Verwaltungsapparat. Durch die abgeschotteten Strukturen konnten die jeweiligen Disziplinen sich konstant optimieren und weiterentwickeln. Der Wissensaustausch oder eine gemeinsame Arbeit am Patienten erfolgt bei Bedarf, ist aber nicht die Regel.
Durch die neu gewonnenen Möglichkeiten moderner Technologien wird die vorhandene Silobildung in Frage gestellt (worauf wir später noch eingehen). Diese Reintegration ist sowohl organisatorisch als auch technologisch eine große Herausforderung.

Der erste und wohl wichtigste Schritt, um diese Herausforderung anzugehen, ist die Akzeptanz der Geschäftsleitung und der Belegschaft, grundlegende Änderungen in der täglichen Arbeit vorzunehmen und offen für Neues zu sein.

Warum agile Arbeitsweisen helfen, die Herausforderungen zu lösen

Agile Arbeitsweisen sind darauf ausgelegt, sich an die Realität anzupassen und schrittweise, in kurzen Zyklen, voranzukommen. Am Ende jeder Iteration wird Feedback eingeholt und validiert, ob man sich noch auf dem richtigen Weg befindet. Aufgrund des komplexen Umfelds der Krankenhäuser, in dem es keine vorgefertigte One-Size-Fits-All-Lösung gibt, passt hier ein agiles Vorgehen sehr gut.

Da es bei der Arbeit im Krankenhaus um das Wohl von Menschen geht, verlangt es nach einer besondere Perspektive und einem Rahmen, der individuell anpassbar ist. Schließlich ist jede:r Patient:in verschieden.

Vergleichen wir das Gesundheitswesen mit der Automobilindustrie, einer Branche, die durch Digitalisierung und Agilisierung viele Herausforderungen gemeistert hat:

Auto-Produktion wurde in der Vergangenheit lange Zeit mit dem Wasserfall-Modell durchgeführt – Konzeption, Design, Fertigung, Testing, Qualitätsprüfung, Verkauf, Kundenfeedback.

Früher stand auch hier die Prozessoptimierung der einzelnen Schritte im Vordergrund. Durch Digitalisierung wurde das grundlegende Vorgehen in Frage gestellt. Heute baut man nicht mehr Software in Autos ein, sondern Autos um Software herum. Software-Updates haben ermöglicht, dass Autos nicht alle 5 Jahre ein Major-Update bekommen haben, sondern kontinuierlich. Die zugehörigen Apps erhalten konstant neue Funktionen. Das Auto an sich rückt in den Hintergrund, die digitale Usability gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Digitalisierung gab den Anstoß, Organisationen weiterzuentwickeln und agile Methoden aus der Softwareproduktion einzuführen. Wobei die Automobilbranche auch die Agile IT-Welt sehr stark geprägt hat, denkt man an „The Toyota Way“, Kaizen, Lean Production.

Gesundheitswesen als Digitales Produkt

Das Gesundheitswesen hat ebenfalls in einer zumeist festen Abfolge von Schritten funktioniert: Beschwerden, Diagnose, Aufnahme, Behandlung, Entlassung, Genesung oder Weiterleitung zur nächsten Disziplin.

Auch hier wurden neue Chancen durch die Digitalisierung geschaffen. Es ist möglich, Patient:innen-Daten digital zu erfassen, sodass wichtige Informationen von allen Fachbereichen einsehbar sind. Da nicht jeder Fachbereich Datanaufnahme von vorn beginnen muss, können Synergieeffekte entstehen. Durch die Sammlung von Daten können Auswertungen und Entscheidungshilfen generiert werden, unabhängig von der Disziplin. Übergreifende Prozesse (z. B. Terminvereinbarung, Operationsplanung) können zentral abgebildet und verwaltet werden.

Wie damals in der Automobilindustrie auch, eröffnen sich neue Chancen durch die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die große Herausforderung ist nun, einen guten Einstieg zu finden.

Bevor man die Produktion eines Autos digitalisiert hat, wurden angrenzende digitale Services zur Verfügung gestellt. Begonnen von der Einsicht über die wichtigsten Daten des Autos (z. B. Status abgeschlossen) über die Aktivierung der Standheizung per App bis hin zu digitalen Features im Auto. Im Laufe der Zeit wurde das Produkt Auto immer digitaler und man hat seine Kunden und dessen Bedürfnisse zunehmend kennengelernt. Durch das zunehmende Kundenverständnis, das konstantes Einholen von Feedback und den Aufbau von Know-How im digitalen Bereich, entwickelt sich das „digitale Auto” stetig weiter.

Ebenso kann man im Gesundheitswesen starten. Bevor die internen Systeme (z. B. Krankenhaus-Informationssysteme) verändert werden, kann man mit kleinen, leichtgewichtigen Randlösungen starten – beispielsweise einem Patientenportal, das in kleinster Ausbaustufe. eine Online-Terminbuchung und einen direkten Chat mit Mitarbeiter:innen ermöglicht. Stück für Stück lernt man so durch ein iteratives und inkrementelles Vorgehen seine Kund:innen (in dem Fall Patient:innen) kennen, identifiziert ihre Bedürfnisse und erweietert die Erfahrung im digitalen Bereich. Nach jeder Iteration kann überprüft werden, ob man sich auf dem richtigen Weg befindet. Genauso wie man nach „außen” digitaler werden kann, kann sich auch das „Innenleben” des Krankenhauses ändern. Wichtig ist hier, integrativ zu denken und zu verstehen, wie das große System funktioniert. Auch hier kann man mit kleinen Experimenten vorstoßen, um sich mehr Wissen einzuholen: über Prozesse, die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen und technologische Herausforderungen.

Agiles Arbeiten im Gesundheitswesen wird bereits gelebt

Es gibt bereits Beispiele, die zeigen, dass agiles Arbeiten im Gesundheitswesen funktioniert – und das nicht nur in der IT, sondern im Arbeitsalltag des Krankenhauspersonals.

Im Buch Reinventing Organisations gibt es ein Beispiel aus der Pflege. Die Teams dort arbeiten agil und selbstorganisiert und vor allem wirtschaftlich besser als in bekannten Strukturen.

Auch in der Notfallmedizin wird agil gearbeitet. Die Teams halten inne, hinterfragen sich, ob sie noch das Richtige machen. Sie nehmen sich Zeit für Retrospektiven und leiten daraus Verbesserungen ab.

Steht man vor dem Labyrinth der Digitalisierung, hilft Agilität bei der Navigation hindurch, einen Schritt nach dem anderen. Immer wieder lernend. Wir sind uns sicher, auch aus Projekt-Erfahrungen, dass es funktioniert. Die agilen Werte, wie Kommunikation, Wissensverteilung, stetige Verbesserung, sind wichtige Hilfsmittel auf dem Weg zur Digitalisierung des Gesundheitswesen.


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